Käuferverhaltensforschung

Zuletzt aktualisiert: 06.04.2023

Das Gebiet der Käuferverhaltensforschung ist noch relativ jung: Im deutschsprachigen Raum ist es KROEBER-RIEL, der durch seine Arbeiten richtungsweisend auf diesem Gebiet tätig wurde, nicht zuletzt auch durch sein Lehrbuch, das 1975 in der ersten Auflage erschien (für die aktuelle Auflage siehe Kroeber-Riehl & Weinberg, 2003).

Käuferverhaltensforschung ist nicht nur ein junges, sondern auch ein sehr heterogenes Gebiet. Kuss und Tomczak (2004) nennen beispielhaft die Teilgebiete Werbewirkungen, Einstellungen, Kinder als Konsumenten, Kundenzufriedenheit, Informationsverarbeitung, Marktsegmentierung, Motivation, Wahrnehmung, Persönlichkeit, usw., aus insgesamt 339 Themen, die im 20-Jahres-Inhaltsverzeichnis des Journal of Consumer Research im Jahr 1994 aufgeführt wurden.

Die Methoden der Käuferverhaltensforschung – anfangs durch quantitative Forschung (z.B. Umfragen) dominiert – erstreckt sich zusehends auch auf die qualitative Forschung. Dazu gehört auch eine bessere Absicherung des Gütekriteriums Validität; also tatsächlich zu messen, was gemessen werden soll. Validität kann durch Methodenvielfalt verbessert werden: Trotz unterschiedlicher Methoden werden die gleichen Ergebnisse erwartet.

Aus behavoristischer Sicht sind Käufer zwar eine heterogene Gruppe, verhalten sich aber vorhersehbar auf Reize. Von individuellen Einstellungen, Herkunft, usw. des Käufers werden keine Wirkungen auf das Käuferverhalten erwartet. Dies ist teilweise empirisch belegt, beispielsweise bei gewissen Preismodellen (z.B. Senkung von Verkaufspreisen auf 9,99; 99,99 usw.). Käufer können allerdings nicht in jeder Hinsicht im gleichen Ausmaß generalisiert werden, sodass komplexere Modelle zur Erklärung verwendet werden müssen.

Kroeber-Riehl und Weinberg (2003) teilen psychische Kaufprozesse in 

  • aktivierende und
  • kognitive

Prozesse ein und erweitern damit das reine behavoristische Stimulus-Response Modell.

Nun sind psychische Prozesse (nicht nur Kaufprozesse) selten eindeutig zuzuordnen, sie treten vielmehr häufig in einer komplexen Form auf. Überwiegen die Komponenten Einstellungen, Emotion und Motivation, so spricht man von aktivierenden Prozessen, während solche als kognitiv bezeichnet werden, bei denen Wahrnehmung, Entscheidung und Lernen dominieren.

Aktivierende Prozesse werden als Erregung und innere Spannung verstanden, die den Organismus stimuliert und ihn aktiv hält. Die Stärke der Aktivierung ist in starkem Ausmaß verantwortlich für die Wachsamkeit, Reaktionsbereitschaft und Leistungsfähigkeit.

Diese aktivierenden Prozesse interagieren mit kognitiven und erzeugen die komplexen aktivierenden Prozesse Einstellung, Emotion und Motivation, die wiederum komplexe kognitive Prozesse beeinflussen. Als Beispiel soll angeführt werden, wie eine bestimmte Einstellung oder Emotion den Wahrnehmungsprozess auf einen Gegenstand hin oder von ihm weg zu lenken vermag.

Aktivierungen sind nicht immer gleich stark. Sie schwanken in Abhängigkeit mit der Notwendigkeit, den Organismus Reize aufnehmen und verarbeiten zu lassen, und dem jeweiligen Aktivierungsniveau.

Aufmerksamkeit ist eine temporäre Erhöhung der aktivierenden Prozesse, die den Organismus bei der Reizauswahl und damit der Wahrnehmung unterstützt. Aufmerksamkeit ist jedoch nur einer der Faktoren, die Wahrnehmung beeinflussen (und damit auch verzerren!) kann. Einige andere Faktoren sind:

  • Bedürfnisse
  • Wünsche
  • Vorwissen
  • Primacy- und Recency Effekt
  • Gruppenzugehörigkeit (Autostereotypien)
  • Fremdgruppenbeurteilungsfehler (Heterosterotypien)
  • u.a.

(siehe beispielsweise Gleitman, 1995, Kapitel 6 „Perception“ und Kapitel 7 „Memory“).

Aufmerksamkeit geht oft mit einer Orientierungsreaktion einher, welche physischer Natur ist, um den Sinnesorganen bei der Wahrnehmung behilflich zu sein oder diese überhaupt erst zu erlauben. Beispiel: Wenden des Kopfes in Richtung Reiz.

Komplexe aktivierende Prozesse wie Einstellung, Emotion und Motivation werden besonders in der neueren Forschung unterschiedlich beurteilt. 

Einstellungen beziehen sich grundsätzlich auf Wertungen eines Objektes oder einer Person.

Die Emotionsforschung spannt einen weiten Bogen, beginnend mit dem Versuch, den Begriff in verschiedenen Kulturen zu deuten (bspw. Wierzbicka 1994, S. 133ff), über den Einbezug von Trieben und Instinkten bei HULL und FREUD, bis hin zur „funktionalistisch-orientierten“ Emotionstheorie von Ulich und Mayring (1992). Im Zusammenhang mit Käuferverhalten beschreiben Kroeber-Riehl und Weinberg (2003) Emotion als innere Erregung, welche angenehm oder unangenehm sein kann.

Im Unterschied zur Emotion bezieht sich Motivation auf ein Ziel oder eine Gruppe von Zielen. Die Art der Motivation muss je nach Motiv unterschieden werden, wobei in der neueren Literatur zwischen impliziten und expliziten Motiven unterschieden wird. Ein implizites Motiv ist die Verknüpfung eines Bedürfnisses mit autobiografischen Erfahrungen, welche die Möglichkeit der Befriedigung dieses Bedürfnisses stark erhöht. Ein explizites Motiv ist – etwas vereinfacht – ein selbst gestecktes Ziel. Grundsätzlich haben Motive überdauernden Charakter und können auch als persönliche Anliegen bezeichnet werden.

Ältere (inhaltstheoretische) Ansätze der Motivationsforschung versuchten festzustellen, wie viele und welche Motive (oder Triebe, Instinkte) notwendig sind, um Verhalten zu erklären. Die klassischen Tiefenpsychologen ADLER und FREUD postulierten Macht- und Sicherheitsmotive (Adler) und Libido- und Todestrieb (Freud) als treibende Kräfte. 

Das Gemeinsame an den inhaltstheoretischen Ansätzen ist das Prinzip der Homöostase (Gleichgewicht), nach welchem der Organismus bei einem Mangelzustand Bedürfnisse entstehen lässt, welche das Ziel haben, durch geeignete Handlungen das Gleichgewicht wieder herzustellen.

Inhaltstheoretische Ansätze werden unter anderem auch aus folgenden Gründen kritisiert:

  • Eine bestimmte Verhaltensweise kann verschiedene Motive haben;
  • Ein Motiv kann bei verschiedenen Personen (oder in verschiedenen Situationen) verschiedene Verhaltensweisen hervorrufen;
  • Beim Vorliegen eines starken Motivs kann es möglicherweise gar nicht zum Handeln kommen. Damit wird der Einfluss von Motiven auf das Handeln zur Gänze in Frage gestellt;
  • Verhalten kann auch unmotiviert auftreten. Neugierde, Kreativität und Liebe sind Beispiele.

MASLOW versuchte in seinem Modell, diesen Kritikpunkten Rechnung zu tragen. Insbesondere versuchte er zu berücksichtigen, dass nicht alles Verhalten auf Bedürfnisse oder Triebe zurückzuführen ist.

Maslow war ein Vertreter der Humanistischen Psychologie, die sich als dritte Kraft neben Psychoanalyse und Behavorismus verstand. Er ordnet Motive in eine Hierarchie von Bedürfnissen:

  • Physiologische Bedürfnisse. Unmittelbar abhängig von Körperfunktionen, z.B. Nahrung und Schlaf;
  • Sicherheitsbedürfnisse zur Vermeidung von Gefahr und Bedrohung, z.B. Erhaltung der Erwerbsfähigkeit und Alterssicherung;
  • Soziale Bedürfnisse, z.B. Pflege der Geselligkeit, Bedürfnis, eine Familie zu haben, zu lieben und geliebt zu werden;
  • Streben nach Selbstachtung (Bedürfnis nach positiver Selbsteinschätzung) und Anerkennung (Bedürfnis nach positiver Fremdeinschätzung);
  • Streben nach Selbstverwirklichung und Entfaltung der Persönlichkeit im weitesten Sinn. Der Mensch ist erst dann zufrieden mit sich selbst, wenn er seine Fähigkeiten ausleben kann.

Das Modell stellte Motivgruppen dar, die voneinander abgegrenzt werden und eine hierarchische Struktur bilden. Damit werden Bedürfnisse nach Wertigkeit und Rang in niedere und höhere Bedürfnisse unterschieden. Außerdem unterscheidet Maslow zwischen Mangelbedürfnissen (Organismus ist nach Befriedigung im Gleichgewicht) und Wachstumsbedürfnissen (es gibt keinen Sättigungszustand).

Eine weitere Maslowsche These (der Präpotenz) besagt, dass Bedürfnisse einer höheren Ordnung erst dann entstehen, wenn die hierarchisch niedrigeren Bedürfnisse befriedigt sind. Diese These ist allerdings empirisch noch nicht gut bewährt. 

Bedürfnispyramide nach Maslow
Bedürfnispyramide nach Maslow

Eine Gruppe der neueren prozessorientierten Motivationstheorien arbeitet mit kognitiven Ansätzen (auch: Konfliktansätzen). Charakteristisch für diese Gruppe ist, dass Ursache, Handlung und Ziel als ein Ganzes gesehen werden. Wenn Wahrgenommenes und Erwartetes in unterschiedlicher Weise auftritt, so nimmt ein Individuum dies als Konflikt wahr, der Spannung und Unbehagen erzeugt. In Folge dessen entsteht die Motivation, die Spannung und das Unbehagen wenn nicht aufzulösen, so wenigstens zu mindern.

Ein Vertreter dieser Prozesstheorien ist Berlynes Theorie des spezifischen Neugierverhaltens. Neues, Unerwartetes und Unbekanntes tritt in Konflikt mit bestehenden kognitiven Strukturen und löst Erkundungsverhalten zur Gewinnung von Informationen aus, um den Widerspruch aufzulösen. Zur Unterscheidung der verschiedenen Konstellationen, unter denen Neuartigkeit auftreten kann, siehe z.B.  Berlyne (1974, S. 39). 

Adams (1965) baut auf frühere Arbeiten über Austauschtheorie von Homans (1961) und entwickelt die Theorie der distributiven Gerechtigkeit (Equity-Theorie). Danach sind nicht die absoluten Werte, die Partner in eine soziale Beziehung einbringen und aus ihr entnehmen, sondern die Relation zwischen Eingebrachtem und Entnommenem maßgeblich (bei Adams: Eingaben und Erträge). Dadurch ist es auch sozial schwächeren Partnern möglich, in einer gerechten Weise eine soziale Beziehung zu erleben. Distributive Ungerechtigkeit herrscht, wenn Partner das Gefühl haben, dass die einzelnen Verhältnisse von Eingabe und Ertrag ungleich sind. In der Folge entsteht Motivation zum Handeln, die aufgetretenen Spannungen aufzulösen. Die Equity-Theorie ist empirisch bewährt, beispielsweise durch Schmitt (1984, S. 377ff).

Eine weitere Gruppe der prozessorientierten Motivationstheorien basiert auf sogenannten Erwartung-mal-Wert-Ansätzen. Gemeinsam ist den Vertretern dieser Gruppe, dass Individuen Entscheidungen fällen, um ihren Nutzen zu maximieren. Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der Berücksichtigung von sowohl Motivationen als auch Emotionen. Ein wichtiger früher Vertreter dieser Gruppe ist das Modell der Leistungsmotivation von Atkinson (1975). Danach ergibt sich die Tendenz zu handeln aus dem Produkt aus Motiv, Erfolgswahrscheinlichkeit (Erwartung) und Anreiz. Da es sich um Produktbildung handelt, ist klar, dass bereits ein einziger Nullfaktor auch die gesamte Handlungstendenz zu Null werden lässt.

In Anlehnung an Heider (1958) schlug Weiner (1974) eine Theorie der Ursachenzuschreibung (Attributionstheorie) vor, welche Ursachen entlang zwei Dimensionen kategorisiert.

Die Dimension Ort der Kontrolle mit den Ausprägungen intern und extern gibt an, ob eine Person Kontrolle über eine bestimmte Ursache hat (z.B. Fähigkeit) oder nicht (z.B. Aufgabenschwierigkeit). Die Dimension Stabilität ordnet einer bestimmten Ursache eine der beiden Ausprägungen stabil (Fähigkeit) oder variabel (Anstrengung) zu.

Nach Heckhausen steht Motivation für die Prozesse betreffend des Setzens von Zielen, wobei zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterschieden wird (nach Heckhausen & Heckhausen, 2010, Glossar). Intrinsische Motivation entsteht durch die Tätigkeit oder das Ergebnis der Tätigkeit selbst im Sinne von Eigenbelohnung, während Fremdbelohnung – extrinsische Motivation darstellt.

Ist nun eine Situation gegeben, die durch relevante Reize Gelegenheit zur Befriedigung von Bedürfnissen oder Erreichung von Zielen bietet, so kann es durch die Interaktion der Faktoren Person (Bedürfnisse, Motive, Ziele) und Situation (Gelegenheit, Reize) zur Handlung, also zum Kauf, kommen. Eine gebräuchliche Abkürzung für diese Interaktion ist Person * Situation. 

Situationsspezifische Reize (bei Heckhausen: Anreize) können ebenfalls intrinsisch oder extrinsisch sein. Grundsätzlich wird bei Heckhausen „alles was Situationen an Positivem oder Negativem einem Individuum verheißen oder andeuten, .. als ‘Anreiz’ bezeichnet, der einen ‘Aufforderungscharakter‘ zu einem entsprechenden Handeln hat. Dabei können Anreize an die Handlungstätigkeit selbst, das Handlungsergebnis und verschiedene Arten von Handlungsergebnisfolgen geknüpft sein“.

Bis in die frühen 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde tatsächlich auch eine Handlung als die unmittelbare logische Folge der eben erwähnten Interaktion zwischen Person und Situation angenommen. Vernachlässigt wurde bis dahin die Tatsache, dass Motivation zum Handeln – durch eine entsprechende Interaktion Person x Situation – noch nicht ausreichend für die Ausführung der Handlung ist. Zuvor muss sich eine Handlungsabsicht (Intention) herausbilden, ohne die Handeln nicht stattfinden kann.

Tatsächlich sind es eine Reihe von intentionsbildenden Prozessen, die nicht nur für den Schritt zum Handeln verantwortlich sind, sondern auch regulativ wirken müssen, um die sich gerade herausbildende Handlungsabsicht zu unterstützen. Ohne diese Regulierung wäre geordnetes Handeln unmöglich, da in der Realität oft eine Reihe von Handlungsabsichten im Wettstreit stehen. Diese regulativen Prozesse werden Volitionen genannt.

Als Wegbereiter der modernen handlungsorientierten Volitionsforschung gilt Kuhl (z.B. 1983), gefolgt von Heckhausens Rubikon-Modell  (siehe Heckhausen, Gollwitzer & Weinert, 1987). Heckhausen stellt zwei Übergänge zwischen Motivation und Handeln: Nach erfolgter Intentionsbildung wird der Fluss Rubikon überschritten und damit die Handlung ausgelöst.

Rubikon-Modell nach Heckhausen
Rubikon-Modell nach Heckhausen

Bis es zur tatsächlichen Ausführung der Handlung kommt, lösen motivationale und volitionale Regulierungsprozesse einander ab. Individuen besitzen unterschiedliche Fähigkeiten, diese Prozesse optimal und effizient auszuführen: „Es gibt große und bis ins Pathologische reichende interindividuelle Unterschiede in der Kompetenz bei der Orchestrierung der volitionalen und motivationalen Selbststeuerung“.

Der Grund für diese Unterschiede ist noch wenig erforscht, obwohl ein wichtiger Faktor zur Erklärung von Käuferverhalten ist, wenn Handlung mit Produktkauf gleichgesetzt wird.

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