Was sind Theorien?
Theorien sind allgemein gehalten und sollen einen klar definierten Geltungsbereich haben. Sie bestehen in ihrem Kern aus Gesetzen (den gut bewährten Hypothesen). Weniger gut oder noch nicht bewährte Hypothesen – also solche, die noch nie oder kaum überprüft wurden – bilden den Randbereich der Theorie.
Die Widerlegung einer Hypothese im Randbereich hat nicht sofort eine Widerlegung der Theorie zur Folge. Anders ist es, wenn eine Widerlegung im Theoriekern auftritt: diese kann eine Veränderung oder gar Verwerfung der Theorie zur Folge haben.
Hypothesen und Gesetze sind miteinander zu einem Theoriesystem verknüpft, stehen also nicht verbindungslos nebeneinander. Aus diesem System können mehr empirisch überprüfbare Sätze abgeleitet werden als aus den einzelnen Hypothesen und Gesetzen. Eine Theorie hat daher in ihrer Gesamtheit einen höheren empirischen Gehalt als die Summe ihrer einzelnen Komponenten.
Die Anforderungen an eine Theorie können inhaltlicher (semantischer) oder formaler (syntaktischer) Natur sein. Zu diesen Anforderungen ist BUNGE zu empfehlen, z.B. 1967a, 1967b.
Theorien werden durch den kreativen Akt eines Forschers entwickelt. Sie müssen dann einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Diese Prüfung kann empirischer oder theoretischer Natur sein. Eine Theorie (oder Hypothese) ist dann empirisch prüfbar, wenn sie, neben empirischen Daten, Aussagen einschließt, die man mit anderen Aussagen vergleichen kann, welche aus nachvollziehbaren Beobachtungen stammen.
Eine Theorie darf im Wettbewerb, also im Widerspruch mit anderen Theorien stehen: Die Erde umkreist die Sonne vs. Die Sonne umkreist die Erde. Man spricht dann von einer kompetitiven Theorie. Allerdings muss sie mit nicht-kompetitiven Theorien vereinbar sein. Man nennt dies externe Konsistenz.
Die theoretische Prüfbarkeit einer Theorie bezieht sich auf Abwesenheit von inneren Widersprüchen ihrer Aussagen, Hypothesen und Gesetze. Dies wird als interne Konsistenz bezeichnet.
Präzision und interne sowie externe logische Konsistenz sind Voraussetzungen für gute empirische Prüfbarkeit von Theorien (auch von Gesetzen und Hypothesen). Die kritische empirische Prüfung besteht etwas vereinfacht ausgedrückt in folgendem Vorgehen:
Aus einer Theorie werden mit Hilfe von Randbedingungen Sätze abgeleitet, die mit der Realität, so wie sie uns durch unsere Sinnesorgane dargestellt wird, verglichen werden können. Es wird untersucht, ob das, was in den abgeleiteten Sätzen behauptet wird auch tatsächlich in der wahrgenommenen Realität so vorkommt. Stimmen die logisch korrekt abgeleiteten Sätze mit den wahrgenommenen Ereignissen überein, so gilt die Theorie als bewährt – nicht als verifiziert! Es gibt nämlich noch unendlich viele nicht überprüfte Instanzen, die noch aus der Theorie ableitbar sind und die zu einer Widerlegung (Falsifizierung) führen könnten.
Diese Sichtweise der Prüfung von wissenschaftlichen Theorien ist jedoch immer noch zu grob und aus der Sicht des Praktikers auch recht naiv, da jede Prüfung wissenschaftliche Instrumente (Geräte, aber auch Befragungen, Beobachtungen) voraussetzen. Jede Prüfung ist also abhängig von der Güte der verwendeten Instrumente, dazu mehr unter Gütekriterien in der Versuchsplanung.
Ein zusätzliches Problem entsteht durch die notwendige Verwendung von Randbedingungen, ohne die Prüfungen nicht möglich sind. Es muss vorausgesetzt werden, dass diese wahr sind, was es aber ebenfalls zu überprüfen gilt.
Schon aus dem bisher Gesagten wird deutlich, welch hohen Stellenwert Theorien in den Systemen der Wissenschaft einnehmen. Ihre Funktionen lassen sich so zusammenfassen:
- Systematisierung der Kenntnisse eines Geltungsbereiches
- Erweiterung der Kenntnisse durch Ableitungen
- Herstellung von logischen Beziehungen zwischen Wissenselementen
- Erklärung und Überprüfung von Phänomenen (Ursachen, Prozessen, …)
- Anleitung der wissenschaftlichen Tätigkeit
Zum Abschluss der Behandlung der Theorien, aber auch als Geleit für die weiteren Besprechungen, ein wichtiger Hinweis:
Wissenschaft und ihre Begriffe und Methoden werden hier aus einer Sicht beschrieben, die den empirisch-analytischen Wissenschaften am nächsten steht. Dies ist auch die typische Betrachtungsweise der Welt im Paradigma des (Post-) Positivismus. Prominente Befürworter dieses Paradigmas sind Popper, Carnap, Wittgenstein und viele Vertreter der empirisch-analytischen Wissenschaften.