Was sind die Grundbegriffe der Rechtswissenschaft?

Zuletzt aktualisiert: 24.01.2023

Dazu gehören:

  • Hypothese
  • Gesetz
  • Basissatz
  • Theorie

Was ist die Hypothese?

Sehr allgemein gesprochen versteht man unter Hypothesen Vermutungen oder Annahmen über Phänomene oder Ereignisse. Eine wichtige Forderung an die Hypothese ist ihre Überprüfbarkeit, die Formulierung muss also so konkret wie nur möglich erfolgen. Hypothesen werden vorläufig als wahr angenommen, bis sie widerlegt werden – eine Vorgangsweise, die der modernen wissenschaftlichen Praxis entspricht und von Popper beschrieben wurde. Überlegungen, dass Hypothesen nicht auf Richtigkeit sondern durch Widerlegung geprüft werden sollen, gibt es allerdings schon länger. 

Es folgt eine Beschreibung verschiedener Hypothesentypen. Die Art der Formulierung von Hypothesen nach Alternativ- und Nullhypothesen wird später besprochen. Von allen Hypothesentypen wird empirischer Gehalt verlangt. „Alle Stahlschienen sind aus Metall“ ist ein Beispiel einer Hypothese mit ungenügendem empirischen Gehalt.

  • Strikt universelle Hypothesen beziehen sich auf alle Fälle einer bestimmten Art und sind raum-zeitlich unbeschränkt. Es handelt sich um uneingeschränkte All-Aussagen der Form „Alle X sind Y“, die ohne Informationsverlust in Wenn-Dann–Sätze übertragbar sind: „Für alle X und Y gilt, wenn etwas ein X ist, dann ist es auch ein Y“. Beispiel: Alle Akademiker sind schlechte Kaufleute kann übertragen werden in Wenn jemand ein Akademiker ist, dann ist er ein schlechter Kaufmann
  • Beschränkt universelle Hypothesen beziehen sich auf einen Bereich, der numerisch beschränkt ist. Es handelt sich daher um eingeschränkte All-Aussagen wie: Alle Akademiker in diesem Raum sind schlechte Kaufleute oder Alle Philosophen sind schlechte Kaufleute. Bei Änderung der Einschränkung – der Rahmenbedingung – müssen sie daher nicht mehr zutreffen.
  • Quasi-universelle Hypothesen werden zwar wie strikt universelle Hypothesen formuliert, allerdings mit gewissen Einschränkungen, die besonders in den Sozialwissenschaften notwendig sind. Fast alle Akademiker sind schlechte Kaufleute ist ein Beispiel. Bei dieser Formulierung würde das Auffinden eines einzigen Akademikers, der auch ein guter Kaufmann ist, nicht ausreichen, um die Hypothese zu widerlegen (wie es der Fall wäre bei einer strikt-universellen Hypothese). Man würde schon auf einige solcher Fälle bestehen.
  • Statistische Hypothesen drücken kollektive Eigenschaften wie Lageparameter (z.B. Durchschnitt), Streuungsparameter (Standardabweichung), Korrelationen oder Verteilungen aus: Die Arbeitslosigkeit von Akademikern liegt 5% unter der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit. Die Prüfung von statistischen Hypothesen ist abhängig von der Erfüllung von Voraussetzungen, welche die statistische Testmethode vorschreiben. Normalverteilung oder metrisch skalierte Merkmale sind Beispiele solcher Voraussetzungen.
  • Unbestimmte und zirkumskripte Existenzhypothesen. Unbestimmte Existenzhypothesen sind von der Art „Es gibt mindestens ein Objekt / ein Ereignis mit der Eigenschaft X“. Kommt nun noch eine weitere Angabe über einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit hinzu, so werden sie als zirkumskript bezeichnet: Zwischen km 20,0 und km 20,5 waren am 1.1.2000 die Schienen außerhalb der erlaubten Toleranzgrenzen.

Was ist das Gesetz?

Wenn Hypothesen weiteren, strengeren, Anforderungen genügen, so werden sie zu Gesetzen. Wie Hypothesen können sie strikt oder eingeschränkt universell sein. Die Anforderungen beziehen sich in erster Linie auf logischen und empirischen Gehalt, implikative Form, Bewährung und Systemzugehörigkeit.

  • Logischer Gehalt bezieht sich auf die Menge aller Sätze, die aus diesem Satz logisch ableitbar sind. Je größer die Menge, desto größer der logische Gehalt.
  • Empirischer Gehalt ist abhängig von der Menge aller Sätze, die von diesem Satz logisch ausgeschlossen werden. Zum besseren Verständnis Beispiele von Hypothesen mit Prüfung, wie weit sie sich bezüglich empirischen Gehalts für ein Gesetz eignen:

a) Wenn der Preis (für ein bestimmtes Produkt) um 5% erhöht wird, dann sinkt die Nachfrage oder sie bleibt gleich.
b) Wenn der Preis um 5% erhöht wird, dann sinkt die Nachfrage.
c) Wenn der Preis um 5% erhöht wird, dann sinkt die Nachfrage um mindestens 5%.
d) Wenn der Preis um 5% erhöht wird, dann sinkt die Nachfrage um mindestens 10%.

Das Ergebnis einer Preiserhöhung von 5% ist eine Nachfrageänderung bei den vier Produkten A – D wie folgt:

A: 0%; B: -2%; C: -5%; D: 11%

Die Stärkung (+) und Schwächung (-) der Hypothesen a) bis d) durch die Nachfrageänderung bei den Produkten A bis D ist daher:


ABCD
a)++++
b)+++
c)++
d)+

Daraus ist ersichtlich, dass Hypothese a) in jeder Situation wahr ist und daher nicht widerlegt werden kann. Nicht widerlegbare (falsifizierbare) Hypothesen weisen den geringsten empirischen Gehalt auf. Es sei vorweggenommen, dass die Prüfung von Hypothesen durch den Versuch ihrer Widerlegung vorgenommen wird. Dagegen hat Hypothese d) den höchsten empirischen Gehalt mit der größten Anzahl von Zurückweisungen (Schwächungen). In der Literatur wird der Begriff des empirischen Gehalts auch erklärt mit der scherzhaften Bauernregel „Kräht der Hahn auf dem Mist, so ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist“: Es ist unmöglich diese Regel zu widerlegen, ihr empirischer Gehalt ist gleich Null. 

  • Bewährung: Es ist gefordert, dass Gesetze einen hohen Bewährungsgrad aufweisen. Sie müssen oftmalig ohne Widerlegung überprüft worden sein.
  • Implikative Form bezieht sich auf die Wenn-Dann–Formulierung: Gesetze bilden die Kernstruktur eines theoretischen Systems. Nur mit der Implikation sind Erklärungen mittels modus ponens und Überprüfungen mittels modus tollens möglich. Diese Begriffe werden später ausführlich erläutert.
  • Systemzugehörigkeit eines Gesetzes bedeutet, dass das Gesetz mit anderen, mehr oder weniger allgemeinen, Gesetzen logisch zusammenhängt. Mehre zusammenhängende Gesetze bilden die Kernstruktur einer wissenschaftlichen Theorie. 

Was ist der Basissatz?

Unter einem Basissatz (Basisaussage) versteht man einen zirkumskripten, singulären Atomsatz. Zirkumskript wurde bei den Hypothesen beschrieben: es existiert eine Raum-Zeit–Angabe. Ein Atomsatz drückt eine atomare Aussage im Sinne der Aussagenlogik aus, d.h. es handelt sich um einen Satz, der nicht mit Hilfe von Satzverknüpfungen wie „und“, „wenn-dann“, „oder“, gebildet wurde. Ein Basissatz wird als singulär bezeichnet, weil er sich auf ein ganz bestimmtes Phänomen – Objekt oder Ereignis – bezieht.

Beispiel: Bei der Herstellung von Produkt A entstanden im Zeitraum vom 1.1. – 15.1.2018 insgesamt € 5.000 an variablen Kosten.

Produkt A ist hier als Raum (Ort) zu verstehen, an dem die Kosten anfallen. Durch die zusätzliche Angabe eines Zeitraums wird der Satz zirkumskript. Es handelt sich um ein Ereignis, die Entstehung von Kosten bei der Herstellung, damit ist der Satz auch singulär. Schließlich ist der Satz nicht durch logische Verknüpfungen entstanden, es handelt sich also um einen Atomsatz. Die Atomsätze, die zur Bildung einer Theorie verwendet werden, nennt man Axiome.

Was ist die Theorie?

Theorien sind allgemein gehalten und sollen einen klar definierten Geltungsbereich haben. Sie bestehen in ihrem Kern aus Gesetzen (den gut bewährten Hypothesen). Weniger gut oder noch nicht bewährte Hypothesen – also solche, die noch nie oder kaum überprüft wurden – bilden den Randbereich der Theorie.

Die Widerlegung einer Hypothese im Randbereich hat nicht sofort eine Widerlegung der Theorie zur Folge. Anders ist es, wenn eine Widerlegung im Theoriekern auftritt: diese kann eine Veränderung oder gar Verwerfung der Theorie zur Folge haben.

Hypothesen und Gesetze sind miteinander zu einem Theoriesystem verknüpft, stehen also nicht verbindungslos nebeneinander. Aus diesem System können mehr empirisch überprüfbare Sätze abgeleitet werden als aus den einzelnen Hypothesen und Gesetzen. Eine Theorie hat daher in ihrer Gesamtheit einen höheren empirischen Gehalt als die Summe ihrer einzelnen Komponenten.

Die Anforderungen an eine Theorie können inhaltlicher (semantischer) oder formaler (syntaktischer) Natur sein. Zu diesen Anforderungen ist BUNGE zu empfehlen, z.B. 1967a, 1967b.

Theoriekern und Randbereiche 

Theorien werden durch den kreativen Akt eines Forschers entwickelt. Sie müssen dann einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Diese Prüfung kann empirischer oder theoretischer Natur sein. Eine Theorie (oder Hypothese) ist dann empirisch prüfbar, wenn sie, neben empirischen Daten, Aussagen einschließt, die man mit anderen Aussagen vergleichen kann, welche aus nachvollziehbaren Beobachtungen stammen.

Eine Theorie darf im Wettbewerb, also im Widerspruch mit anderen Theorien stehen: Die Erde umkreist die Sonne vs. Die Sonne umkreist die Erde. Man spricht dann von einer kompetitiven Theorie. Allerdings muss sie mit nicht-kompetitiven Theorien vereinbar sein. Man nennt dies externe Konsistenz.

Die theoretische Prüfbarkeit einer Theorie bezieht sich auf Abwesenheit von inneren Widersprüchen ihrer Aussagen, Hypothesen und Gesetze. Dies wird als interne Konsistenz bezeichnet.

Präzision und interne sowie externe logische Konsistenz sind Voraussetzungen für gute empirische Prüfbarkeit von Theorien (auch von Gesetzen und Hypothesen). Die kritische empirische Prüfung besteht etwas vereinfacht ausgedrückt in folgendem Vorgehen: 

Aus einer Theorie werden mit Hilfe von Randbedingungen Sätze abgeleitet, die mit der Realität, so wie sie uns durch unsere Sinnesorgane dargestellt wird, verglichen werden können. Es wird untersucht, ob das, was in den abgeleiteten Sätzen behauptet wird auch tatsächlich in der wahrgenommenen Realität so vorkommt. Stimmen die logisch korrekt abgeleiteten Sätze mit den wahrgenommenen Ereignissen überein, so gilt die Theorie als bewährtnicht als verifiziert! Es gibt nämlich noch unendlich viele nicht überprüfte Instanzen, die noch aus der Theorie ableitbar sind und die zu einer Widerlegung (Falsifizierung) führen könnten.

Diese Sichtweise der Prüfung von wissenschaftlichen Theorien ist jedoch immer noch zu grob und aus der Sicht des Praktikers auch recht naiv, da jede Prüfung wissenschaftliche Instrumente (Geräte, aber auch Befragungen, Beobachtungen) voraussetzen. Jede Prüfung ist also abhängig von der Güte der verwendeten Instrumente, dazu mehr unter Gütekriterien in der Versuchsplanung. 

Ein zusätzliches Problem entsteht durch die notwendige Verwendung von Randbedingungen, ohne die Prüfungen nicht möglich sind. Es muss vorausgesetzt werden, dass diese wahr sind, was es aber ebenfalls zu überprüfen gilt. 

Schon aus dem bisher Gesagten wird deutlich, welch hohen Stellenwert Theorien in den Systemen der Wissenschaft einnehmen. Ihre Funktionen lassen sich so zusammenfassen:

  • Systematisierung der Kenntnisse eines Geltungsbereiches
  • Erweiterung der Kenntnisse durch Ableitungen
  • Herstellung von logischen Beziehungen zwischen Wissenselementen
  • Erklärung und Überprüfung von Phänomenen (Ursachen, Prozessen, …)
  • Anleitung der wissenschaftlichen Tätigkeit

Zum Abschluss der Behandlung der Theorien, aber auch als Geleit für die weiteren Besprechungen, ein wichtiger Hinweis:

Wissenschaft und ihre Begriffe und Methoden werden hier aus einer Sicht beschrieben, die den empirisch-analytischen Wissenschaften am nächsten steht. Dies ist auch die typische Betrachtungsweise der Welt im Paradigma des (Post-) Positivismus. Prominente Befürworter dieses Paradigmas sind Popper, Carnap, Wittgenstein und viele Vertreter der empirisch-analytischen Wissenschaften.

Beispielhaft für andere Paradigmen des Theoriebegriffs von Anhängern der Kritischen Theorie und des Konstruktivismus: „Ein Satz einer Theorie ist ‚begründet‘, wenn ihm im unvoreingenommenen Diskurs Sachkundige und Gutwillige zustimmen können. Ein entsprechender Diskurs soll undogmatisch, zwanglos und nicht überredend erfolgen.“ (Astleitner, 2000, 16).

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