Welche Forschungsparadigmen in der Rechtswissenschaft gibt es?

Zuletzt aktualisiert: 24.01.2023

Ein Paradigma kann man sich als Weltbild vorstellen, oder – näher an der griechischen Wurzel – die Art und Weise, wie man sich die Welt begreiflich macht. Für die Wissenschaftler bedeutet dies Überlegungen zum Fokus ihrer Forschungen, welcher Art das von ihnen produzierte Wissen sein kann, welche gesellschaftlicheFunktion Wissenschaft einnehmen soll und vieles mehr. Das Resultat dieser Überlegung ist stark abhängig von der Ecke, aus der Wissenschaft betrieben wird – dem Paradigma.

Bei der Besprechung der Theorien wurde bereits erwähnt, dass die dar gestellte Sichtweise, die der empirisch-analytischen Wissenschaften am ehesten entspricht. Diese Wissenschaften – in der Hauptsache sind es die Naturwissenschaften – folgen Sichtweisen (Paradigmen, „Weltbilder“) des Positivismus bzw. Postpositivismus. Als Gegenpol dazu (und selbstverständlich gibt es Überlappungen!) stehen die dialektisch-hermeneutischen Wissenschaften, mit den Geisteswissenschaften als ihrem wichtigsten Vertreter. 

Diese Einteilung in empirisch-analytisch / Naturwissenschaften und dialektisch-hermeneutisch (Geisteswissenschaften) ist idealisiert: Lernforschung, Verhaltenstherapie, Unterrichtsforschung und andere quantitativen Sozialforschungen werden häufig empirisch-analytisch betrieben – man denke nur an die PISA Studien. Andererseits kann man argumentieren, dass Entwicklungspsychologen wie Piaget und Vygotsky – also Sozialwissenschaftler – Empiriker waren. 

Bei der folgenden Einteilung geht es vielmehr darum, typische Merkmale der Vertreter der verschiedenen Forschungsparadigmen herauszustellen. Dabei wird notwendigerweise vereinfacht. Wie bereits erwähnt sollen für die empirisch-analytischen Wissenschaften als typische Paradigmen Positivismus und Postpositivismus gelten, für die dialektisch-hermeneutischen Wissenschaften als typische Paradigmen Kritische Theorie und Konstruktivismus. Spezielle Ausprägungen wie Dialektischer Materialismus oder Radikaler Konstruktivismus müssen ignoriert werden.

Wie kann man sich ein (post-)positivistisches, im Folgenden „PP“,  Weltbild gegenüber dem der Kritischen und Konstruktivistischen Paradigmen, im Folgenden „KK“, vorstellen? Versuchen wir eine (unvollständige) Kategorisierung:

  • Ontologie (Was ist?). PP: Es gibt eine wirkliche Welt, die begreifbar ist, vielleicht nur teilweise begreifbar (Realismus). Sprache hat Abbildungsfunktion. KK: Alles Reale ist vom Betrachter spezifisch mental konstruiert. Sprache konstruiert Realität.
  • Epistomologie, Erkenntnistheorie (Was können wir wissen?). PP: Objekt und Untersucher (Subjekt) sind unabhängig. Untersuchungen sind fehlerlos möglich und produzieren (wahrscheinlich) wahres Wissen. KK: Objekt wird von den Werten des Untersuchers (Subjekts) beeinflusst oder überhaupt vom Untersucher „geschaffen“.
  • Methodologie (Wie können wir wissen?). PP: Durch Formulierung von Hypothesen, die empirisch geprüft werden. KK: Im Dialog zwischen Objekt und Untersucher (Subjekt); hermeneutisch (Verstehen des umfassenden Zusammenhangs); durch Interpretieren.
  • Forschungsfokus. PP: Nomothetisch (Gesetzesaussagen). Erstellung möglichst allgemeiner Aussagen. Replizierbarkeit der Untersuchungen. KK: Idiographisch (beschreibendes Untersuchen der Individualität). Erstellen spezifischer Aussagen über einzelne Sachverhalte oder Personen; Einzelfalluntersuchung.
  • Forschungsgrund. PP: „warum forschen“ – Ursachen entdecken. Erklärung, Vorhersage und Kontrolle.  KK: „wie forschen“ – durch Kritik, Verstehen (Erfassen von Sinnzusammenhängen, Rekonstruktion von Texten).
  • Art des produzierten Wissens. PP: Nicht widerlegte Hypothesen als bewährte Hypothesen oder Gesetze. KK: Einsichten als kritische Gesellschaftstheorie für eine gerechte Gesellschaft; Aufdecken von Widersprüchen.
  • Gütekriterien des produzierten Wissens. PP: Ergebnisse von Untersuchungen müssen den Kriterien der Objektivität, Reliabilität und Validität genügen. KK: Ergebnisse dienen als Handlungsanregung, zur Aufhebung von Ignoranz und Missverstehen, zu mehr Vertrauenswürdigkeit.
  • Werte. PP: gehen nur in ganz spezifische und klar definierte Phasen des wissenschaftlichen Prozesses ein, ansonsten deskriptiv-beschreibend (annähernd wertfrei). KK: sind in jeder Phase eingeschlossen und formen das Ergebnis mit.
  • Gesellschaftliche Funktion. PP: Auftragsforschung. KK: Kritik und Veränderung der Gesellschaft.(nach Astleitner, 2000, 7ff)

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