Welche Werte in der Rechtswissenschaft gibt es?

Zuletzt aktualisiert: 24.01.2023

Werte dürfen in der Wissenschaft nicht fehlen, es ist allerdings umstritten, in welchen Phasen der Wissenschaft Werte verwendet werden dürfen. Hier ein Überblick über diese Problematik, zunächst mit einer Unterscheidung zwischen substantiellen und instrumentellen Werten. Ob ein Wert als substantiell oder instrumentell angesehen wird, ist nicht fest verankert, sondern hängt von der konkreten Situation und dem konkreten Kontext ab.

Substantielle (intrinsische) Werte tragen den Wert in sich selbst. Der Wert ist als solcher anerkannt und muss daher nicht besonders begründet werden. Beispiele: Gesundheit, persönliche Sicherheit, Kenntnis des Schachspiels. Aus diesen Beispielen wird bereits klar, dass es höher-und niedriger-wertige substantielle Werte gibt, wobei die Hierarchie von Person zu Person unterschiedlich sein kann. Der Wert Gesundheit wird wohl allgemein sehr hoch in der Hierarchie stehen, im Vergleich zu persönlicher Freiheit aber unterschiedlich von Kranken und politisch Verfolgten beurteilt werden. Das Kriterium der Beurteilung liegt in „was ist mir wichtiger“.

Instrumentelle Werte sind Mittel für einen Zweck und ebenfalls hierarchisch. Sie dienen dazu, entweder höherwertige instrumentelle Werte oder substantielle Werte zu erreichen. Beispiele: Erkennen von politischen Zusammenhängen, ziviler Ungehorsam. Auch diese Beispiele zeigen die Abhängigkeit vom Kontext: Es ist vorstellbar, dass in einer Diktatur das Erkennen von politischen Zusammenhängen ein instrumenteller Wert ist auf dem Weg zum Wert des zivilen Ungehorsams, um langfristig den substantiellen Wert der persönlichen Sicherheit zu erreichen.

Die Gültigkeit instrumenteller Werte kann in der Regel empirisch nachgewiesen werden. Gelingt der Nachweis, so gilt auch der Wert in seiner instrumentellen Funktion, andernfalls verliert er seine Gültigkeit.

In der Wissenschaft als System von Sätzen ist zwischen folgenden Satztypen zu unterscheiden:

  • Deskriptive Aussagen. Beispiele: x ist der Fall. Wenn x, dann y mit der Wahrscheinlichkeit von p. Die Aussage von jemandem über eine Norm ist ebenfalls deskriptiv: x sagt, dass y gesollt ist.
  • Normen (präskriptive Aussagen) Beispiele: x ist gesollt, y ist nicht verboten. Wenn x gesollt ist, dann ist auch y gesollt.
  • Werte (Wertaussagen) Beispiele siehe oben.
  • Mischsätze zwischen den verschiedenen Typen Dies können beispielsweise technologische Aussage sein oder Handlungsanweisungen. Sie dienen als Brücke zwischen deskriptiven Aussagen und Normen, da grundsätzlich Satztypen nicht gemischt werden sollen.

Jeder Aussagetyp wird auf seine eigene Art bewährt:

  • Deskriptive Aussagen empirisch oder durch Ableitung von generalisierten Beobachtungen, entweder durch Überprüfung oder durch Erklärung (siehe Wissenschaftliche Erklärungen).
  • Normen nur durch Ableitung aus übergeordneten Normen oder über einen Diskurs (sofern im Paradigma vorgesehen).
  • Substantielle Werte gelten als bewährt durch ihre allgemeine Akzeptanz. Instrumentelle Werte werden empirisch nachgewiesen.

Es ist logisch unmöglich, von einer deskriptiven Aussage auf eine präskriptive Aussage (Norm) zu schließen. Eine fehlerhafte Aussage dieser Art wird naturalistischer Fehlschluss genannt und wurde bereits von HUME beklagt. 

Mischsätze dienen mit ihrer Brückenfunktion dazu, aus einer Menge von deskriptiven Aussagen Normen abzuleiten. Diese Brückenfunktion soll explizit gemacht werden.

Normen werden nach folgendem Schema begründet:
Übergeordnete Norm: x ist gesollt (geboten)
Randbedingung, deskriptiv: y ist ein a
Untergeordnete Norm: y ist gesollt (geboten)

Beispiel:

Ein Verstoß gegen die Menschenrechte soll verboten sein
Folter verstößt gegen die Menschenrechte
Folter soll verboten sein.

Fehlerhaft wäre der Schluss, Folter verstößt gegen die Menschenrechte und soll daher verboten sein. Von der deskriptiven Aussage „Folter verstößt gegen die Menschenrechte“ darf nicht auf die präskriptive Aussage (Norm) „Folter soll verboten sein“ geschlossen werden, da es sich hierbei um einen naturalistischen Fehlschluss handelt. Nicht allein die Tatsache, dass gefoltert wird und damit Menschenrechte verletzt werden, ist ausreichend für die Forderung für das Verbot der Folter, sondern die Existenz der übergeordneten Norm des Verbotes von Verstößen gegen Menschenrechte.

Ein anderer Fehlschluss, der genetische Fehlschluss, soll folgendermaßen skizziert werden:

Es soll eine Zeitung existieren in der notorisch gelogen und übertrieben wird („Bilder“) und die daher generell unglaubwürdig ist. Auf dem Heimweg kaufe ich eine „Bilder“ mit der Schlagzeile „Der Präsident ist gestorben“ und rufe meine Frau an mit dieser Nachricht, nachdem ich mich auch anderweitig von der Richtigkeit dieser Aussage überzeugt habe. Meine Frau will wissen, wie ich das herausgefunden habe und meine Antwort ist, dass ich es in der „Bilder“ gelesen hätte. „Wie kannst du nur glauben, was in der ‘Bilder’ steht“, war ihre verächtliche Antwort (Nach: Baggani & Fosl, 2010, 101). 

Die Überlegungen meiner Frau waren etwa so: (1) die Nachricht war in der „Bilder“ – (2) die „Bilder“ ist generell unglaubwürdig – (3) die Nachricht ist unglaubwürdig. Dieser Fehlschluss wird genetisch genannt, weil er die Richtigkeit einer Aussage von seiner Herkunft abhängig macht. Dies ist aber nicht zulässig: durch die Herkunft einer Aussage darf nicht auf ihre Richtigkeit geschlossen werden.

Zurück zu übergeordneten Normen, die als Normen begründet werden müssen. Dies ist jedoch nicht einfach, da dabei folgende Probleme auftreten können:

  • Ein unendlicher Versuch, für eine übergeordnete Norm eine weitere übergeordnete Norm zu finden. Diese Problematik wird unendlicher Regress genannt.
  • Ein Zirkelschluss. Norm1 wird durch Norm2 erklärt, Norm2 durch Norm3, Norm3 wieder durch Norm1. Dies ist natürlich nicht akzeptabel.

Die einzige pragmatische Lösung scheint ein willkürlicher Abbruch zu sein. Man entscheidet sich für eine übergeordnete Norm, die nicht mehr weiter hinterfragt und begründet wird. Solch eine Norm könnte die Deklaration der Menschenrechte sein. (Nach Patry, 2003, 77).

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