Was sind wissenschaftliche Erklärungen?
Zur Erinnerung: Im Unterschied zu einer Alltagserklärung geht eine wissenschaftliche Erklärung aus einem regelgeleiteten Prüfverfahren hervor, einer wissenschaftlichen Methode.
Eine der wichtigsten wissenschaftlichen Erklärungen ist die deduktiv-nomologischeErklärung und stammt von HEMPEL und OPPENHEIM. Sie wird daher auch oft H-O Schema genannt. Die Grundidee wurde bereits von Aristoteles entwickelt, und wie alle guten Ideen ist sie einfach:
Eine Erklärung ist eine logisch korrekte Folgerung aus einem deterministischen Gesetz und einer wahren Beschreibung relevanter Ereignisse oder Tatsachen. Einige Jahre vorher hat Popper bereits Ähnliches geschrieben: „Einen Vorgang kausal erklären heißt, einen Satz, der ihn beschreibt, aus Gesetzen und Randbedingungen deduktiv ableiten“. Das folgende Argument ist eine Erklärung:
Stahl dehnt sich bei Erwärmung aus.
Diese Stahlschiene, über die gerade ein Zug fährt, wird durch Reibung erwärmt.
Daher dehnt sich diese Stahlschiene jetzt aus.
Diese Erklärung beginnt mit zwei Prämissen, die erste ist das Gesetz: Stahl dehnt sich bei Erwärmung aus. Die zweite Prämisse ist die Beschreibung eines relevanten Ereignisses, bei Popper die „Randbedingung“. Damit die logische Folgerung wahr ist, müssen beide Prämissen ebenfalls wahr sein. Die folgende Erklärung ist zwar logisch korrekt, aber nicht wahr:
Alle Metalle dehnen sich bei Erwärmung aus.
Diese Metallschiene, über die gerade ein Zug fährt, wir durch Reibung erwärmt.
Daher dehnt sich diese Metallschiene jetzt aus.
Diese beiden Prämissen werden Explanans genannt. Das Explanans muss aus mindestens einem Gesetz und mindestens einer Randbedingung (auch: Antezedens) bestehen und führt zu einem Basissatz, dem Explanandum.
Die allgemeine Struktur der deduktiven-nomologischen Erklärung (H-O Schema) ist daher:
G1, G2, …, Gn ein oder mehrere Gesetze
A1, A2, …, An ein oder mehrere Antezedensinstanzen
Daher: E Explanandum
Die deduktiv-nomologische Erklärung gibt Antworten auf die Fragearten „Aufgrund welcher Gesetze und Randbedingungen ist der Fall, dass y“. In unserem Beispiel besteht die Antwort aus dem Gesetz Ausdehnung von Stahl bei Erwärmung und der Randbedingung Erwärmung der Stahlschiene durch den Zug.
Einige Voraussetzungen müssen jedoch für die Gültigkeit einer deduktiv-nomologischen Erklärung zutreffen:
- Das Argument, das vom Explanans zum Explanandum schließt, muss logisch korrekt sein (z.B. modus ponens)
- Das Explanans muss empirisch gehaltvoll und relevant sein. Nicht gehaltvoll oder relevant wäre: Eine Stahlschiene, über die eine Katze läuft, bricht nicht.
- Die Sätze des Explanans müssen wahr oder wenigstens gut bewährt sein.
Zur letzten Bedingung: Wir können nicht immer von der Richtigkeit der Sätze ausgehen, daher akzeptieren wir ihre gute Bewährung.
Im Gegensatz zur deduktiv-nomologischen Erklärung kennt die statistische Erklärung keine deterministischen Gesetze, da solche für den Gegenstand vielleicht gar nicht vorhanden sind. Anstelle eines Gesetzes wird eine objektive Aussage mit einem statistischen Wahrscheinlichkeitsgehalt akzeptiert, während die Randbedingung eine subjektive Aussage darstellt. Das Explanandum ist darum ebenfalls mit einer angenommen Wahrscheinlichkeit behaftet.
In den Sozialwissenschaften sind statistische Erklärungen häufig anzutreffen. Ein Beispiel (pure Annahme!):
Etwa ein Drittel der Akademiker sind gute Kaufleute (entspricht: Die Wahrscheinlichkeit, dass Akademiker auch gute Kaufleute sind, ist 33%)
Alle Personen in dieser Gruppe sind Akademiker
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich in dieser Gruppe gute Kaufleute befinden, ist 33%.
In Aussagen dieser Art verbirgt sich zudem noch das Problem, dass „Akademiker“ und „gute Kaufleute“ viel besser definiert werden müssten, um eine sinnvolle Erklärung zu erhalten. Wir werden noch sehen, wie man für „gute Kaufleute“ eine Definition durch Operationalisierung finden kann.