Was ist Konfliktprävention?

Zuletzt aktualisiert: 06.04.2023

Glasl definiert einen sozialen Konflikt, also einen Konflikt zwischen wenigstens zwei Menschen, als das Aufeinandertreffen zweier unvereinbarer oder widersprüchlicher Interessen.

Ein Konflikt kommt also dann zustande,

  • wenn unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen, die sich eventuell gegenseitig ausschließen. 
  • wenn sich Menschen mit diesen Interessen identifizieren, dahinter stehen und 
  • wenn sich diese Menschen, weil sie in einer sozialen Beziehung (Arbeitsverhältnis, Abhängigkeit) zueinander stehen, einigen müssen.

Ein Konflikt lässt sich nun in fünf Dimensionen und drei zeitliche Ebenen unterteilen.

Bei der Betrachtung und Analyse eines Konfliktes sind die folgenden fünf Konfliktdimensionen bedeutsam:

Beim Konfliktgegenstand ist es von Bedeutung, die gegensätzlichen Interessen klar zu benennen. Kann so ein Interessensgegensatz nicht gefunden werden, handelt es sich möglicherweise um ein Problem (Aufgabenstellung, Handlungsherausforderung) oder um eine Krise (im Extremfall um eine Gesamtgefährdung des betroffenen Systems). Häufig gehen Probleme Konflikten voran. Krisen können dann die Folgeerscheinung nicht bearbeiteter Konflikte sein. Oftmals beinhaltet eine Konfliktsituation nicht einen, sondern mehrere Konfliktgegenstände. Die Aufgabe der Konfliktanalyse besteht dann in einer Unterscheidung der Konfliktgegenstände sowie der Gewichtung nach der Dringlichkeit für die Organisation.

Die Konfliktparteien sind die Träger der gegensätzlichen Interessen. Bei sozialen Konflikten können dies Individuen, aber auch Gruppen, Organisationen, Institutionen oder ganze Gesellschaften sein. Je nach Zahl und Art der beteiligten Konfliktsysteme sind unterschiedliche Themen vorherrschend. Es ist nicht notwendig, dass sich jede Konfliktpartei des Konfliktes bewusst ist, es ist jedoch unabdingbar, für die Lösung oder Regelung eines Konfliktes alle betroffenen Konfliktparteien einzubeziehen. Beispiel: Der Mitarbeiter, der nicht weiß, dass sein Vorgesetzter mit ihm unzufrieden ist, wird sich schwer tun, seine Erwartungen zu erfüllen, wenn er mit der Unzufriedenheit des Vorgesetzten konfrontiert wird.

Die Konfliktparteien können in unterschiedlichsten (Konflikt) – Beziehungen zueinander stehen: Diese Beziehungen können eng oder lose sein, direkt oder indirekt, hierarchisch oder kollegial, aber auch symmetrisch oder komplementär. Zum Konflikt kommt es immer dann, wenn die Konfliktparteien ihre Beziehung zueinander konträr definieren. 

Beispiel: 
Aus einem Team von Mitarbeitern wird eine Person zur Leitung des Teams bestimmt. Zu der bisherigen symmetrischen Beziehung tritt daher eine wichtige komplementäre hinzu. Dieser Beziehungswechsel ist für Teammitglieder schwer nachzuvollziehen, die in dem neuen Leiter weiterhin ihren bisherigen Kollegen sehen.

Bei Analyse des zeitlichen Konfliktverlaufs bieten sich drei zeitliche Ebenen zur Betrachtung und als Grundlage für die weitere Vorgehensweise an:

Gegenwart: Wie stellt sich der Konflikt jetzt aktuell dar? Welche Themen stehen im Vordergrund? Wer ist aktuell daran beteiligt?

Vergangenheit: Wann ist der Interessensgegensatz zum ersten Mal sichtbar geworden? Gibt es ein signifikantes Datum (z.B. Eintritt eines neuen Mitarbeiters ins Team). Ist der Konflikt vor kurzem oder vor langer Zeit entstanden (je länger der Konflikt andauert, umso umfangreicher und tiefgehender muss die Konfliktbehandlung geschehen)?

Zukunft: In der Konfliktregelung kann man als ersten Schritt in Richtung Lösung Szenarien beschreiben, wie sich der vorhandene Gegensatz zukünftig entwickeln kann: Was passiert, wenn sich eine der Konfliktparteien durchsetzt? Was geschieht, wenn es zu einer Annäherung der Standpunkte kommt, wenn es zu einem Eingriff von außen kommt? Wie entwickelt sich der Konflikt, wenn die jetzige Spannung bestehen bleibt? Wird der Konflikt weiter eskalieren oder werden die Konfliktparteien das Interesse an der Auseinandersetzung verlieren?

Bei den Konfliktumwelten sind jene Systeme angesprochen, die die Konfliktparteien umgeben, aber nicht selbst Träger von Interessen sind. 

Bei einem Konflikt zwischen zwei Mitarbeitern einer Organisation sind das z.B. die anderen Teammitglieder, die Mitarbeiter anderer Bereiche und Vorgesetzte. Auch die jeweiligen Privatsphären der beteiligten Mitarbeiter stellen Umwelten dar. Diese Konfliktumwelten sind vom Konflikt ohne aktive Beteiligung betroffen. Entwickeln diese Umweltsysteme aber eigene Interessen im jeweiligen Konflikt und vertreten diese auch, so werden sie ebenfalls zu Konfliktparteien. Gerade diese Unterscheidung ist im Einzelfall oft schwer zu treffen und kann immer nur auf eine jeweilige Situation zu einem bestimmten Interessensgegensatz gemacht werden. Für die Identifizierung von Konfliktparteien ist diese Unterscheidung bei der Vermittlung von Konflikten hilfreich, da durch sie die Konflikte eingegrenzt und gezielt angesprochen werden können.

Die Auswirkungen eines Konflikts auf die beteiligten Personen stellt Wehner (2008) in einem Kreislauf des Konfliktsyndroms dar.

Konfliktsyndromkreislauf
Konfliktsyndromkreislauf

Die Kommunikation in der Gruppe lässt nach oder sie ist unaufrichtig, vorliegende Informationen werden kaum oder auch fehlerhaft ausgetauscht, es wird mehr übereinander als miteinander gesprochen und verdeckte Drohungen und offener Druck treten an die Stelle von Argumentation und eigener Überzeugungskraft.

Die Wahrnehmung in der Gruppe ist verzerrt und polarisiert, unterschiedliche und gegensätzliche Interessen herrschen vor, Meinungen und Überzeugungen der einzelnen Mitglieder werden schärfer wahrgenommen. Die Differenzen untereinander gelten als bedeutsamer als eventuell (noch) vorhandene Gemeinsamkeiten. Versöhnliche Gesten werden als heuchlerisch, humorvolle als ironisch, sachliche Absichten als feindselig interpretiert. 

Eine Rolle spielen „Wahrnehmungsfilter“, die zu Wahrnehmungsverzerrungen führen können). 

Annen (2000) trennt die durch die Person des Beurteilers bedingten Einflüsse von den Wahrnehmungsverzerrungen. Er definiert Charakter, Egoismustendenzen oder charakterliche Fehleinstellungen, Sympathie und Antipathie, Vorurteile sowie die emotionale Beteiligung. Neben der Definition wird aber auch auf die möglichen Gegenmaßnahmen eingegangen. 

Unter die Wahrnehmungsverzerrungen fallen jene spezifischen Fehler, die sich bei der Aufnahme, Speicherung, Verarbeitung und Auswertung von Informationen ergeben. Darunter fallen z.B. der Halo-Effekt, unter dem man eine Überstrahlwirkung versteht, wonach eine markante positive oder negative Eigenschaft oder Verhaltensweise des zu Beurteilenden dazu führt, dass andere Merkmale ähnlich wie die dominierende Eigenschaft positiv oder negativ beurteilt werden. 

Beim Ersteindrucksurteil ist die Gefahr zu nennen, dass der erste Eindruck zu vorschnellen Urteilen verleiten kann. Urteile sind meist sehr langlebig und schwer zu verändern. 

Beim Recency Effekt wird kürzlich eingetretenes Verhalten gegenüber länger zurückliegendem stärker berücksichtigt.

Es kommt aber auch vor, dass der Beurteiler die eigenen Fähigkeiten, Absichten, Eigenschaften, Wünsche, Stärken oder Schwächen auf den Mitarbeiter projiziert; dieser Effekt wird als Projektionsfehler bezeichnet.

Alle Mitglieder einer Gruppe müssen sich dieser starken Einflussfaktoren ständig bewusst sein, um manche Situation oder Verhaltensweise besser verstehen und bewerten zu können. Die umfangreiche Ausbildung bietet dafür sicherlich eine geeignete Grundlage. 

Crisand (1994) bietet eine Checkliste von Beurteilungsfehlern, die dazu dient, die Objektivität eines Urteils zu überprüfen. 

„Denn die Wirklichkeit ist immer eine wahrgenommene subjektive Wirklichkeit, die für jeden Menschen andere Bedeutsamkeiten und Aufforderungswerte haben kann“ (Neuberger, 1973, S. 58).

Die Einstellung der Mitglieder ist von Misstrauen beherrscht, ihre Bereitschaft sinkt, andere Mitglieder zu unterstützen, die Fähigkeit und Bereitschaft lassen nach, andere zu verstehen und sich in sie und ihre Situation einzufühlen. Die Neigung, einander persönlich zu verletzen, nimmt zu.

Das gemeinsame Ziel wird aus den Augen verloren, jeder versucht, seine Ziele auf Kosten der anderen Mitglieder zu erreichen, gegenseitige Behinderungen nehmen zu. Die Abstimmung (Koordination) und Arbeitsteilung bleiben aus, dadurch kommt keine Synergie zustande und sie kann nicht genützt werden.

Die dargestellten Bereiche und Effekte haben sowohl für das MAG, die TAB wie auch für die Prävention/Bearbeitung von Konflikten ihre Bedeutung und haben je nach Konflikteskalation unterschiedliche Ausprägungen.

Wie lauten die neun Stufen der Konflikteskalation?

Glasl (1998) teilt die Konflikteskalation in neun Stufen und drei Schwellen ein:

  • Win-Win (Verhärtung, Debatte, Polemik, Taten statt Worte),
  • Win-Lose (Images und Koalitionen, Gesichtsverlust, Drohstrategien), 
  • Lose-Lose (Begrenzte Vernichtungsschläge, Zersplitterung, gemeinsam in den Abgrund).
Die neun Stufen der Konflikteskalation
Die neun Stufen der Konflikteskalation

Wesentlich für die Bearbeitung eines Konfliktes ist die höchste Stufe des Konfliktpartners. 

Sind der Konflikt und die beteiligten Personen lokalisiert, geht es aber darum, den Fokus auf die vorhandenen Potentiale, Haltungen, Motivationen und Erwartungen der Beteiligten zu richten und anschließend den „Fluss umzuleiten, statt ganz aufzustauen“. 

Abgeleitet von der Stufe, auf der sich der Konflikt befindet, leiten sich nach Glasl (1998) auch die unterschiedlichen Formen der Hilfe ab.

Unterschiedliche Formen der Hilfe bezogen auf die Stufen
Unterschiedliche Formen der Hilfe bezogen auf die Stufen

Welche positiven Möglichkeiten zur Nutzung von Konflikten gibt es?

Konflikte können und sollen aber auch persönlich und für die Organisation genützt werden. 

Nach Wehner (2008) lassen sich die positiven Möglichkeiten, die ein Konflikt bietet, wie folgt zusammenfassen:

Welche Konflikte stärken den Willen zur Veränderung?

Sie signalisieren, dass etwas anders gemacht werden muss und alte Gewohnheiten aufgegeben werden sollten. Sie erzeugen den notwendigen Druck, aktiv an Probleme heranzugehen.

Konflikte vertiefen zwischenmenschliche Beziehungen!

Die Parteien lernen sich besser verstehen, wissen, was ihnen wechselseitig wichtig ist, lernen ihre verletzliche Seite kennen.

Welche Konflikte machen das Leben interessanter?

Sie durchbrechen die Routine des Alltags, machen Beziehungen lebendig, Gespräche verlaufen lebhaft und spannend.

  • Konflikte geben den Anstoß, Fähigkeiten zu vertiefen!

Die zunächst schwer verständlichen Ansichten der anderen Seite machen neugierig, der Sache oder dem Thema auf den Grund zu gehen und damit neue Einsichten zu gewinnen.

Welche Konflikte fördern Kreativität?

Die Beteiligten erfahren, dass ein Problem verschieden gesehen und bewertet, geregelt oder gelöst werden kann.

Welche Konflikte machen problembewusst?

Die Beteiligten erfahren, wo die Brennpunkte liegen und was vor allem sie selbst tun müssen, um sie zu entschärfen.

Welche Konflikte lassen uns die eigene Person und andere besser kennenlernen?

Im Konflikt erfahren wir, was uns ärgert, verletzt, zu schaffen macht und uns persönlich wichtig ist.

Welche Konflikte führen zu besseren Entscheidungen?

Meinungsverschiedenheiten, Kontroversen zwingen uns dazu, eine Entscheidung sorgfältig zu durchdenken, widersprüchliche Alternativen durchzuspielen usw.

Welche Konflikte fördern die Persönlichkeitsentwicklung?

Um einen Konflikt konstruktiv zu bewältigen, muss eine Partei ihre egozentrische Sichtweise überwinden und sich in die andere Seite hineinversetzen, was ein höheres Maß an gemeinsamer Bewusstheit und letztendlich moralischer Verantwortung stiften kann.

Welche Regeln zur Durchführung einer kooperativen Konfliktbewältigung gibt es?

Für eine kooperative Konfliktbewältigung bietet es sich nach Wehner (2008) an, einen Rahmen zu definieren und festzulegen. Es gilt wenige gemeinsam zu erreichende Ziele zu benennen und die Details dazu auszuarbeiten. 

Es empfiehlt sich, mit „leichten“ Punkten zu beginnen, die eine rasche Einigung zulassen. Eine erfolgreiche, kooperative Konfliktbewältigung entwickelt sich dann im Fortgang des Verhandelns.

Die Nutzung der kommunikationstheoretischen Grundlagen, die auszugsweise bereits behandelt wurden, bildet die Grundlage, um in den Kreislauf der kooperativen Konfliktbewältigung einzutreten.

Kreislauf einer kooperativen Konfliktbewältigung
Kreislauf einer kooperativen Konfliktbewältigung

Folgende Regeln dienen bereits der Prävention und sind auch für das Gelingen einer kooperativen Konfliktbewältigung wesentlich:

  • Die Aufgaben sind klar definiert, beschrieben und voneinander abgegrenzt.
  • Die Vorgesetzten sind präsent und wertschätzen die Arbeit der Mitarbeiter.
  • Es herrscht ein allgemeines Klima von Vertrauen, Offenheit und Fairness.
  • Der Austausch über die Arbeitsplatz- und Bereichsgrenzen ist gewollt und hergestellt.
  • Die Organisationsmitglieder werden regelmäßig und rechtzeitig informiert
  • Entscheidungen informiert. Entscheidungen, die andere betreffen, werden mit diesen auch diskutiert.
  • Die Organisationsmitglieder werden bei den Entscheidungen, die sie betreffen, einbezogen und zu Rate gezogen.
  • Regeln sind allen Beteiligten bekannt und werden geteilt.
  • Ungeeignete Regeln, die sich „stillschweigend“ entwickeln, werden sobald wie möglich zurückgewiesen.

Das Wesentliche ist aber deren Umsetzung und Anwendung, um diese Grundlagen „mit Leben“ zu erfüllen. 

Die erforderlichen Grundhaltungen für ein Gelingen dieser kooperativen Konfliktbewältigung sind: 

  • Akzeptanz
  • Empathie
  • Echtheit
  • Interesse. 

Die entscheidenden „Aktivitäten“ im Gespräch und für ein erfolgreiches HRM sind dabei auch hier wiederum das direkte, persönliche Ansprechen, das Zeigen von Anteilnahme, ein aktives Zuhören, das Ansprechen von Gedanken, das Verbalisieren von Gefühlen und das Vermeiden von Fehlern in der Gesprächsführung.

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